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Einmal kippt Edison als verhinderter Selbstmörder von einer kalifornischen Brücke, weil er seiner fortschreitenden Erkrankung entfliehen will. Einmal als Teil einer US-Bomberbesatzung, die in einer surrealen Teufelskiste namens Magic Carpet auf Feindeinsatz über dem Götterdämmerungsdeutschland 1945 fliegt. Beide Stürze sind in einer temporeichen, auf mehreren Tonspuren, mal dialogischen, mal schildernden Sprache illustriert. Nebenfiguren durchschlagen den Orbit der Hauptfigur, verglühen – oder kehren später wieder. „Er fiel.“ So beginnt Zähringer die Lesung, so beendet er sie. Ein  Meister der Komposition und Struktur. Kreise schließen sich – immer wieder in diesem großen Wurf, der mit seiner Platzierung auf der Longlist des Deutschen Buchpreises noch unterbewertet war.

Diese Kapitel aus EINER VON VIELEN sind durchgestylt. Kontrastreich. Voller Wendungen, die auf einen letzten großen Knotenpunkt zulaufen. Der Leser muss mit, ob er will oder nicht. Er folgt dem Erzähler, atemlos, bewegt sich mit ihm zwischen schreiender Komik und schauerlichem Ernst. Und er will nicht mehr heraus aus dieser Schiffschaukel. Er ist Augenzeuge des aberwitzigsten Geburtsvorgangs, seit Günter Grass Oskar Matzerath ins Leben entlassen hat: eine Geburt unter pendelnder Glühbirne – die Edison seinen Vornamen beschert – unter Mithilfe einer besoffenen Hebamme und eines Tierarztes, gekoppelt an Slapstickszenen, Dialogstakkatos, zwischen Reflexionen und sanften Beschreibungen segelnd. Am Ende ergibt das ein faszinierendes Ganzes, einen Kaleidoskop-Kosmos, eine Armee aus 77 Haupt- und Nebenfiguren auf einem überdimensionalen Schachbrett. Der Erzähler als Spieler setzt sie in Verbindung, macht Züge, die wie zufällig wirken, immer aber die Möglichkeit höherer Bestimmung andeuten. Er beherrscht das und er macht den Leser glauben, alles folge einem geheimen Plan.

 

Haben zwei Menschen, die zur gleichen Stunde an entferntem Ort geboren werden, miteinander zu tun, kreuzen sich ihre Lebenslinien? Hat unsere Existenz einen tieferen Sinn, entdecken wir uns dabei selbst oder verlieren wir uns zwangsläufig? Unmerklich gehen wir diese Sinnfragen mit, weil sie keine Grübelei werden und in Behauptungsprosa verkommen. Sie werden an Figuren gekoppelt, die höchst lebenswillig sind, zäh die Apokalypsen überstehen wollen, die auf einen Durchschnittsamerikaner, einen Durchschnittsdeutschen einstürzen können – zwischen 1923 und 2003.

Wenn Romane Welten erschaffen müssen, um groß zu sein. Dann ist dieser Roman groß. Dann ist Norbert Zähringer groß.

FOTO: Gerhild Ahnert

zaehringer