Interessantes Experiment: Schüler der Gegenwart im Gespräch mit Prominenten der Weltgeschichte
Genau das hat das Kissinger Jack-Steinberger-Gymnasium getan. Im Rahmen der Buchreihe "Noch eine Frage Majestät...", deren erster Band unlängst erschienen ist, und in dem Schülerinnen und Schüler von bayerischen Gymnasien und Realschulen unter Mitwirkung ihrer Lehrer "Fragen" an Prominente der Vergangenheit stellen und diese selbst durch Quellennachweis belegbar beantworten, war auch Kissingens Gymnasium mit von der Partie, das sich, was nahe lag, den Eisernen Kanzler schnappte und in den Dialog eintreten ließ.
Blick auf den Menschen
Dabei ging es nicht um historische Bewertungen der interviewten Person, auch nicht um politische und/oder historische Zusammenhänge, sondern um einen umfassenden Blick auf den Menschen, der sich hinter Funktion und Titeln verbirgt. Die jungen Reporter erkannten sehr schnell, dass die Großen der Vergangenheit (wie ihre Nachfolger in der Gegenwart) Stärken und Schwächen, Selbstzweifel gar, Ängste und Hoffnungen hatten, also nicht die steinernen Büsten waren, als die man sie heute kennt, sondern Menschen aus Fleisch und Blut.
Eifrig wurde Grundlagenmaterial zusammen geholt, die Lust an der Spurensuche und an der wissenschaftlichen Arbeit war bald geweckt. Das Mittel des journalistischen Wortinterviews wurde bewusst gewählt, um die Arbeit so modern wie möglich zu gestalten. Das Verfahren war der Konzeption her denkbar einfach: Alle interessanten Antworten stehen irgendwo geschrieben, die Reporter mussten sie nur entdecken und dazu die passenden Fragen formulieren.
Fränkische Erfahrungen
Nachfolgend einige Fragen und Antworten aus dem Interview, die sich vor allem auf Bismarck und dessen Verhältnis zu Bad Kissingen beziehen.
Selbstverständlich wurde der Staatsmann und Katholizismuskritiker auch vor allem nach seiner Politik gefragt; wir wollen uns aber auf die lokalbezogenen Fragen beschränken. Es handelt sich übrigens um eines von insgesamt 21 Interviews in dem Buch.
Frage: Die Leser unserer Zeitung, des "Kissinger Journals", interessiert natürlich ganz besonders Ihr Verhältnis zu Bad Kissingen. Was hat Sie 1874 dazu bewogen, erstmals hierher zur Kur zu kommen?
Otto von Bismarck: Nun, zunächst war ich dienstlich sehr angestrengt und benötigte dringend Erholung. Gesundheitlich fühlte ich mich angegriffen und müde. Das muss auch König Wilhelm bemerkt haben, denn er drängte mich persönlich zur Kur. Mein Leibarzt Professor Ernst Schwenninger hat mir damals Bad Kissingen empfohlen. Ganz ohne politi- schen Hintergedanken jedoch traf ich diese Wahl nicht. Meine Kur fand an dem Ort statt, an dem acht Jahre zuvor der Kampf der Preußen gegen Bayern geführt worden war, und sollte eine Geste der Versöhnung sein.
Ihr Leibarzt, Professor Schwenninger, stand bei allen Kuraufenthalten an Ihrer Seite. Sie scheinen große Stücke auf seinen Rat gegeben zu haben.
Welche gesundheitlichen Ratschläge gab er Ihnen?
Professor Schwenninger war mein schwarzer Thyrann", wie ich ihn zu nennen pflegte. Gegen sein Regiment war kein Kraut gewachsen, unerbittlich zwang er mich abzunehmen, da ich zwar mit einer Körpergröße von 1,90 Metern alle überragte, jedoch mit 240 Pfund gar manche Waage vor unlösbare Probleme stellte. . .
Erste Begegnung
Welche Erinnerungen haben Sie an Ihren ersten Besuch in Bad Kissingen?
von Bismarck: (denkt kurz nach) Ich reiste mit meiner Gattin und unserer Tochter am 4. Juli 1874 mit der Eisenbahn an und fand alles sehr zu meiner Zufriedenheit vor. Die nationale Presse berichtete von der Verlegung des Schwerpunktes unseres Reiches nach Bad Kissingen". Mein König stellte mir damals die königliche Dienerschaft, einen Hofequipewagen und sechs Pferde zur Verfügung, die er bereits eine Woche vor meiner Ankunft nach Bad Kissingen entsandt hatte.
Ihr erster Aufenthalt in der Kurstadt hätte auch Ihr letzter sein können, denn nur um Haaresbreite sind Sie einem Terroranschlag entgangen. Wie spielte sich der Vorfall ab?
Gut eine Woche nach Kurantritt, am Montag, den 13. Juli 1874 machte ich mich mit Professor Schwenninger in meiner Kutsche zur Mittagszeit wie jeden Tag auf den Weg zur Saline. Sofort nach dem Verlassen unserer Herberge kam ein junger Mann seitlich an unseren Wagen. Der Kutscher riss an den Zügeln. Ich, der ich die Umstände gar nicht genau bemerkt hatte, hob die Hand, um freundlich zujubelnde Passanten zu grüßen. In diesem Moment spürte ich einen Schlag gegen meine Hand und hörte einen lauten Knall.
Was war genau passiert?
Der junge Bursche, wie sich später herausstellte, ein arbeitsloser 21-jähriger Böttchergeselle aus Neustadt bei Magdeburg - also ein Landsmann von mir - mit Namen Eduard Franz Ludwig Kullmann hatte versucht, mit seinem Schuss aus einer alten rostigen Pistole mein Leben auszulöschen.
"Nicht kurgemäß"
Was ist Ihnen damals geschehen, waren Sie schwer verletzt?
(Bismarck richtet den Blick gen Himmel) Die Fügung und unser Herrgott haben es wohl gut mit mir gemeint. Am rechten Handgelenk hatte ich nur einen Streifschuss und verschiedene Verbrennungen von dem Projektil und dem Schusspfropf. Im Gesicht und an der Nase waren Schmauchspuren vom Pulver- dampf entstanden. Sonst war ich wohlauf.
Was geschah mit dem Attentäter? Was hatte ihn dazu bewogen, auf einen Mann wie Sie loszugehen?
Der Attentäter wurde sofort von einem Passanten ergriffen und biss diesem noch in die Hand. Danach wurde er abgeführt und verhört. Wie sich herausstellte, gehörte er zum katholischen Gesellenverein und hatte das Verbrechen alleine ausgeheckt. Er wollte mich als den in seinen Augen für den Kulturkampf Verantwortlichen beseitigen.
Wie war Ihre erste Reaktion auf dieses schockierende Ereignis?
Ich ließ mich im Hause verarzten und trat bald danach auf den Balkon hinaus, um das aufgebrachte Publikum, das Lynchjustiz am Gesellen üben wollte, zu beruhigen.
Man sagt, Sie hätten sehr gelassen beim Verhör reagiert?
Meine Worte zum Attentäter waren nur. "Das ist nicht schön, wenn Landsleute aufeinander schießen!" Bei Tische äußerte ich mich jovial: "Die Sache ist zwar nicht kurgemäß, aber das Geschäft bringt es eben so mit sich".
Wie verlief ihr Kuraufenthalt weiter? Hatten Sie nicht die Lust verloren, die Kur an einem solchen Ort fortzusetzen?
Nein, es war rührend, wie besorgt die Kissinger um meine Gesundheit waren. Die Kirchen in Bad Kissingen, die evangelische katholische und jüdische Gemeinde hielten Dankgottesdienste an den folgenden Tagen ab. Ich wurde gesund gepflegt. Natürlich hat der Zwischenfall für großes nationales Aufsehen gesorgt. Die Zeitungen waren sehr interessiert.
Nach fünfeinhalb Wochen, am 12. August, kehrte ich schließlich gut erholt zurück nach Berlin. Die Bürger und Kurgäste waren in Scharen am Bahnhof in Bad Kissingen, um mich zu verabschieden.
Trotz dieses nicht gerade kurgemäßen Vorfalls haben Sie in der Folgezeit noch 14mal die Saalestadt zur Kur besucht, warum haben Sie sich nach dem Anschlag nicht für einen anderen Kurort entschieden?
Irre gibt es überall und außerdem hatte das Gericht den Attentäter zu 14 Jahren Zuchthaus verurteilt. Die Tatwaffe habe ich übrigens für 3 Gulden als Souvenir und Talismann erstanden. Die königlich-bayerische Gendarmerie sorgte zuverlässig für meine Sicherheit, ich bekam die besten Bodyguards, die mich überall unauffällig begleiteten.
Vor allem aber hatte ich bemerkt, wie zuträglich das Kissinger Wasser für mein Wohlbefinden war und so kehrte ich bereits 1876 erneut nach Bad Kissingen zurück.
Welche Ereignisse aus diesen Jahren verbinden Sie mit Bad Kissingen?
Bad Kissingen wurde über die Jahre zu unserer Sommerheimat (gerät ins Schwärmen). Ich liebte die langen Spaziergänge im Kaskadental. Auch die Wirtschaft am Theresienbrunnen gehört zu gehört zu meinen lieben Erinnerungen.
Aber wir genossen auch die Sympathie, die uns hier entgegengebracht wurde. Ich wurde von den Kissingern mit Ehrungen überhäuft. Die Stadt verlieh mir die Ehrenbürgermedaille und bereits zu meinen Lebzeiten errichteten die Kissinger Bürger mir am Gradierwerk ein 3,5 Meter hohes Denkmal.
Auch nach meinem Rücktritt bringen mir die Bürger der Stadt und auch das internationale Kurpublikum immer wieder Ovationen entgegen - bei meinem letztjährigen Kuraufenthalt kamen zu einer Kundgebung über 4300 Menschen in 111 Eisenbahnwagen nach Kissingen, um mich zu ehren.
So richtig frei fühle ich mich hier jedoch erst seit 1890, nachdem ich - von Kaiser Wilhelm II. aus allen Ämtern entlassen - frei vom Zeremoniell bin und keine politischen Aufgaben erledigen muss.