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stephan_krawczyk-2Stephan Krawczyk berührt in seiner Konzertlesung. Er schafft dies bei Schülern, Lehrern und Gästen von außerhalb. Ein Ding der Unmöglichkeit, eigentlich. Denn jeder erwartet sich etwas anderes von dem gebuchten Gast. 50 Jahre Mauerfall ist der Anlass zu kommen für den Bürgerrechtler und Protestsänger. Dafür wird er von vielen Schulen in diesem Jahr gebucht. Aber diese Haupterwartungshaltung, den Rückblick in die DDR zu liefern, die Erhellung der eigenen Dissidentengeschichte auszubreiten, durchkreuzt er vielfach. Und das macht die Lesung zum eigentlichen Genuss.

Natürlich liest er auch aus „Der Narr“, entlarvt den alltäglichen Irrsinn der NVA- und SED-Ideologie, der er 1975 unterworfen war, der er mit zunehmender Reserve bis 1985 folgte, öffnet den Knast Höhenschönhausen für einen Moment, um ihm beizuwohnen bei der Rettung der eigenen Integrität dort. Wenn er für seine Notdurft einen Moment die Zelle für sich alleine haben will, den Hofgang dafür opfert, wenn er seiner Frau Freya Klier, gleichzeitig, aber einen Stock höher im Knast, aber auch dem Wachsoldaten mit der MP ein „Ich liebe dich“ zuruft. Ohne die Lebenspartnerin von damals wäre er „nicht so gesund durch diese drei Jahre“ gekommen. 3 Jahre Berufsverbot, Ächtung, Stasibespitzelung, dann Inhaftierung. Er erzählt die Geschichte seines Vaters, des Wismut-Kumpels, der, verstrahlt und nur mehr mit 10 Prozent Lungenfunktion, den Freitod wählt. Auch ein Systemopfer, das erklären kann, warum der Singer-Songwriter früh schon zum Umweltaktivisten wurde.

Davor, danach, dazwischen wird er aber auch urkomisch, gefällt sich in einem Mikrofonspiel a la Paolo Conte. So spielt Krawczyk selbstvergessen, und doch höchst präzise. Und immer wieder anders. Das deutsche Volkslied, den amerikanischen Folk, Bert Brecht und Heinrich Heine beschwörend. Krawczyk ist Zyniker und Romantiker zugleich. Er widmet gegen Ende, ein Höhepunkt des Auftritts, einem Sohn ein intensives, wunderschönes, frisches Liebeslied, aber auch den Frauen, der Frau, die ihm Kraftquelle ist. Seine Klassiker kommen. Das Hundelied etwa, das Lied vom Speichellecken. Und ansatzlos attackiert er als Provokateur die punktuell latente Schülerbräsigkeit, die man in der Nachmittagswärme des Mehrzweckraumes konstatieren und verzeihen konnte – mit Aufrufen zum Ungehorsam auch in der Demokratie. Es sollte, das wäre doch bedenkenswert, in der Schule ein „Fach Speichellecken“ geben.

So viel steht am Ende fest: Der Mann versteht sein Handwerk. Krawczyk ist ein Konzertvirtuose vor dem Herrn, in seiner Weise ein Star, mit riesigem Charme, mit Vitalität, halb vergessen zwar, aber eben nur halb.