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6. Schreibwettbewerb der Stadt Bad Kissingen, des Jack-Steinberger-Gymnasiums und des Kissinger Kunst- und Kulturkreises

Zum 6. Mal hat der Bad Kissinger Schreibwettbewerb für junge Schreiber bis 25 Jahre stattgefunden. Die Initiatoren und Veranstalter, der Kissinger Kunst- und Kulturkreis, das Jack-Steinberger-Gymnasium und die Stadt Bad Kissingen freuten sich in diesem Jahr über 39 termingerecht eingegangene Zusendungen von Schreibern im Alter von diesmal 10 bis maximal 25 Jahren, die sich mit dem Thema ‚Willkommen und Abschied‘, dem Titel eines Goethe-Gedichts, und dem des Beatles-Songs ‚You say good-bye and I say hello‘ beschäftigten.

Schreibwettbewerb-2011

Auch bei KollegInnen an den Nachbargymnasien fand die Wettbewerbsausschreibung Interesse. Einige ermunterten ihre Arbeitsgemeinschaften ‚Kreatives Schreiben‘ zur Teilnahme und schickten deren Texte ungefilltert an das JSG. So erreichten uns nicht nur die üblichen Einzeltexte von jungen Schreibern, sondern auch die gesammelten Produkte ganzer Arbeitsgemeinschaften oder Klassen, was der Jury die Auswahl nicht einfacher machte. Ein Riesenkonvolut vom Schweinfurter Olympia-Morata-Gymnasium, liebevoll gestaltet und illustriert, kam leider erst nach dem Einsendeschluss an.

All das zeigt, dass die Jugendlichen von heute keineswegs durchweg schreibfaul und, wenn sie am Computer sitzen, nur an Spielen und sozialen Netzwerken interessiert sind. Viele reizt offenbar die Tastatur auch, ihre Gedanken, Gefühle, Geschichten und Gedichte aufzuschreiben und einer kleineren oder größeren Öffentlichkeit vorzustellen.

Innerhalb von drei Tagen mussten sich die Mitglieder der Jury für ihre drei Favoriten der in der Anfangsfassung noch anonymen 39 Texte entscheiden, denen sie 3, 2 und 1 Punkt geben konnten.

Über die Sieger entscheidet dann die Zahl der erreichten Punkte. In diesem Jahr ergab die Addition eine klare Entscheidung der ersten drei Plätze.

Die Aufgabe der Entgegennahme der Einsendungen, der Anonymisierung und Verwaltung der Einsendernamen hat wieder Frau Martina Manger vom Sekretariat des JSG übernommen, der für diese zum Teil nicht so ganz einfache Arbeit (Manche Schreiber halten sich nicht an die Aufforderung, ihr Geburtsdatum oder ihren wirklichen Namen anzugeben usw.) ganz herzlich zu danken ist.

Ein großer Dank geht auch an die Juroren, die es bei der beträchtlichen Alterspanne der Teilnehmer und der Fülle der Texte auf sich genommen haben, sich durch diese hindurchzuarbeiten und sich zu einer Wertung zu entschließen:
-          Herrn Oberbürgermeister Kay Blankenburg
-          Herrn David Rybak, Jugendbeauftragter der Stadt Bad Kissingen
-          Herrn Sigismund von Dobschütz (Stadtrat und freischaffender Journalist)
-          Herrn Oberstudiendirektor Frank Kubitza (Schulleiter am JSG)
-          Frau Studiendirektorin Gerhild Ahnert (Stellv. Schulleiterin am JSG und 1. Vorsitzende des KKKK)
-          Frau Hilla Schütze (Stellv. Vorsitzende des KKKK)
-          Herrn Studiendirektor Peter Rottmann (Seminarlehrer Deutsch am JSG und Beauftragter für Lesungen im KKKK)
-          Herrn Studiendirektor Michael Bohl (Bibliotheksbeauftragter am JSG)
-          Frau Studienrätin Birgit Dürr (Fachbetreuerin Deutsch am JSG)
-          Frau Oberstudienrätin Ulrike Weilbach (Deutschlehrerin am JSG)
-          Herrn Studienrat Sebastian Krahn (Deutschlehrer am JSG)
-          Frau Dr. Fischer, Deutschlehrerin im M-Zweig der Kliegl-Mittelschule
-          Frau Intendantin Anne Maar (Leiterin des Fränkischen Theaters Schloss Maßbach und Jugendbuchautorin)
-          Und den Referendaren des Deutschseminars am JSG: Claudia Jauernig, Ines Lautner, Yvonne Welz und Anna Zang

Die Stadt Bad Kissingen hat die Publikation aller rechtzeitig eingegangenen Texte wieder mit einem Zuschuss von 500,- Euro unterstützt. Sie kann gegen einen Unkostenbeitrag von 2 Euro in der Schule erworben werden.

Unser technischer Berater für alle Fälle, Herr Harald Brensing, hat das das neue Layout für unser Plakat technisch umgesetzt und die Umschläge für das Textheft gedruckt. Unser Hausmeister, Herr Aribert Straub, hat wieder die Programmhefte in Rekordzeit gedruckt und geheftet. Herzlichen Dank!

Ein Dank auch an StD Michael Bohl, der die Begleitmusik für diesen Abend ausgesucht hat und uns als DJ betreut; die SMV sei bedankt, weil sie wieder für unser leibliches Wohl sorgt.

Die Preisgelder von 150,-, 100,- und zweimal 50,- Euro wurden in diesem Jahr vom Kissinger Kunst- und Kulturkreis, dem Initiator des Wettbewerbs, gesponsert.

Wer im nächsten Jahr als Sponsor aktiv werden möchte zur Förderung der schreibenden Jugend, wende sich bitte an Frau Ahnert oder Herrn Rottmann vom JSG!

 

Die Preisträger im Jahr 2011:

Der 1. Preis der Jury ging an Leonie Stibor, Schülerin der Q12 des JSG für ihren Text `Plötzlich ist es anders.

Den 2. Preis der Jury erhielt Lorena Bickert aus der Q11 des JSG für ‚Willkommen und Abschied – Adiós, altes Leben!.

Ihren 3. Preis vergab die Jury an Tobias Zimmermann aus der Klasse 10b am JSG für ‚Das WG-Sofa‘.

Lea Friedrich aus der Q11 des JSG konnte sich über den Publikumspreis freuen.

 

 

DER SIEGERTEXT:

 

Leonie Stibor, PLÖTZLICH IST ES ANDERS

 

Blick auf die Straße.

Konzentriert und doch nicht bei der Sache.

Mein Puls rast mit meinem Golf um die Wette. Raus aus der Fremde, die mein Zuhause sein will, und hin zu dem Zuhause, das mir so fremd geworden ist.

Herzrasen, Schweiß, ich trommle mit meinen Fingern auf das Lenkrad. Eigentlich keine Eile und doch stehe ich unter Strom.

Ich weiß nicht, wann ich das vergessen habe. Wie man abschaltet.

Verkehrsfunk. Kann nicht abwarten, nächster Sender.

Ein Lied wie jedes andere. Tausendmal gehört, immer weniger berührt.

Nächster Sender, gleiches Spiel. Das Lied ist ganz ok, aber ich bin zu ungeduldig.

Aus. Ruhe.

Menschen auf Rädern. Sie fahren entweder zu langsam oder zu schnell.

Ich fahre zu schnell.

Überholspur auch vor und lange nach dem Überholen.

Es erscheint mir sinnlos, die Spur zu wechseln.

Hinter mir ein Mercedes, fährt dicht auf.

Ich immer unruhiger, mein Atem immer hektischer. Ich halte das Lenkrad so fest ich es kann.

Meine Fäuste immer verkrampfter. Ich kann nicht nach rechts, zu viele LKWs, will nicht abbremsen müssen.

Beschleunigen auf 190.

Der Mercedes immer noch dicht hinter mir.

Die Stille greift mich, drückt auf meine Brust, schlingt sich mir um den Hals, immer schneller geht mein Puls. CD-Wechsel bei 190 auf der Autobahn.

Hinter mir der Drängler.

Frei.

Hinter mir Aufblenden.

Gehetzter Spurwechsel, entschuldigender Blick meinerseits, genervter „Klar, eine Frau!“-Blick seinerseits.

Das Lied langweilt, Nummer drei.

Keine Ruhe.

Kein Drängler.

Trotzdem erneut gehetzter Spurwechsel.

Es wird langsam dunkel, kaum ein Auto mehr auf der Straße. Nur LKWs.

Ab und an ein Kleinwagen, rechts.

Mein Bauch – zu lange keiner Luft mehr begegnet. Jedes Atmen nur bis in die Schultern, manchmal vergesse ich es gänzlich. Brust und Beine angespannt, ebenso die Fäuste. Sie krallen sich ins Lenkrad.

Baustelle. 50.

Ich fahre 100.

Überholspur sehr eng, neben mir ein LKW.

Bremsen auf 80.

Ich habe keine Kontrolle, das spüre ich.

Zu eng, ich viel zu schnell für diese Enge. Innerlich die Augen geschlossen. Einfach Hoffen.

Vorbei.

Der LKW hinter mir.

Erleichterung meinerseits.

Verkehrsfunk.

Schon zum dritten Mal in 40 Minuten. Geisterfahrer auf der A7.

Nicht meine Strecke.

Ich bin genervt, aggressiv, haue auf den „Media“-Knopf. Ich kann es nicht mehr hören.

Mitten im Wort haben sie Alison unterbrochen, absolut kein Taktgefühl, die Radioleute.

Ich lasse Alison fortfahren, obgleich ich keines ihrer Worte verstehe. Höre gar nicht hin, habe längst aufgegeben. Keine Energie mehr.

Laut hämmern sie auf meine Scheibe.

Ein Tropfen nach dem anderen. Und noch einer.

Mein Scheibenwischer veranstaltet einen 1000-Meter-Lauf auf meiner Frontscheibe.

Die CD ist zum zweiten Mal bei Lied elf.

Ich habe jetzt gänzlich die Lust an der Platte verloren.

Nächste Ausfahrt, Endspurt!

Ich kenne hier jeden Baum, jedes Schild, jeden Leitpfosten, jede Raststätte, und doch nichts.

Keine Rast, so kurz vor dem Ziel.

Ich will Alison nicht länger den Mund verbieten. Sie sagt manchmal ziemlich gescheite Sachen. Jetzt philosophiert sie darüber, „what easy used to be“.

Das weiß ich gar nicht mehr so recht.

Klar war es einfach früher. Aber wie war es früher? Einfach.

Ausfahrt!

Einen letzten LKW überholen, dann Abbremsen von 170 auf 60.

Nass. Ruckeln. ABS.

Ich denke, dass mein Herz gleich zerreißen muss, weil es so schnell geht. Dann denke ich nichts mehr.

Mit Tempo 30 um die Kurve.

Der Atem langsamer, die Schultern lockerer.

Meine Augen zusammengekniffen, die Stirn gerunzelt, das merke ich jetzt.

Ich atme tief ein, bis in den Bauch.

Er wölbt sich. Meine Rippen schließen sich der Bewegung an.

Rechts, links, Blumengeschäft, Brautmoden, Frisör, links, Pizzeria, Stopp.

Ich fahre rechts ran, kurz nach hinten, ein bisschen näher an den Gehsteig, das Auto gerader. 10 Minuten lang immer hin und her. Bis ich bereit bin.

Für das Tor. Für das Haus.

Ich erinnere jedes Detail.

Briefkasten, Garage, Pflaster, Mülltonne, Fenster, Türe, Fußmatte.

Aber es kommt mir so fremd vor.

So anders. So fremd.

Genervt von Alison, die mir immer die gleichen Predigten hält, der Scheibe, die immer undurchsichtiger, dem Sitz, der immer unbequemer wird.

Ich drehe den Schlüssel um, die Handbremse ist schon angezogen.

Gelähmt von der Stille harre ich noch weitere Millionen Stunden in meiner Position aus.

2 Minuten später öffne ich die Türe.

Erschrocken von der nassen und kalten Realität schlage ich sie aber schnell wieder zu.

Noch nicht raus. Noch kurz im Sicheren bleiben. Noch kurz durchatmen. Noch kurz warten.

Neben mir Vibration. Blick auf das Handy. Drei verpasste Anrufe, Alison war zu laut.

„Bist du schon da?“, fragt sie. Ich habe keine Lust zu antworten und drücke den Text weg. „Liebe Grüße“. Etwas Unpersönlicheres kann ich mir nicht vorstellen.

Energisch packe ich meine Tasche und reiße die Türe abermals auf. Mit hastigen Schritten zum Tor.

Falscher Schlüssel. Falscher Schlüssel. Richtiger Schlüssel!

Ich eile zum Haus.

Jetzt komischerweise auf Anhieb der Richtige.

Türe fest anziehen, Schlüssel nach links, dann das Klicken.

Es riecht. Ich weiß nicht nach was.

Ein bisschen außer Atem stelle ich die Tasche ab. Erstmal Licht machen.

Ich finde nicht sofort den passenden Schalter.

Die Schuhe aus, ich nehme beide in die Hand. Einen in die Rechte, einen in die Linke.

Ein Paar neben dem anderen, akkurat aufgestellt in einer Reihe, warten schon dort unter der Garderobe.

Ich schaue in den Spiegel. Dann stelle ich meine Zwei vor den Schirmständer.

Ich sehe sie an und kicke den einen Schuh mit meinem nackten Fuß um, sodass er auf die Seite fällt. Das sieht schön aus, finde ich.

Mein Puls ist jetzt ruhiger. Ich öffne die Küchentür.

Mich interessiert, was im Kühlschrank ist.

Mama hat gesagt, er ist leer. Natürlich ist er es nicht. Ich wusste das. Aber sie hat darauf beharrt.

Der Tisch ist gedeckt.

Tomaten, Gurken, Käse, Wurst, sogar Marmelade.

Ich nehme mir bloß den Dekokeks von meinem Teller und gehe nach oben.

Im Zimmer die Bilder, sie heißen mich Willkommen. Aber das ärgert mich nur.

Ich brauche sie nicht dazu, das hier ist doch mein Zuhause!

Ich blicke mich um, lasse meine Augen wandern über Bett, Schrank und Kommode.

Das Zimmer ganz anders als in meiner Erinnerung.

Und als ich aus dem Fenster in den Garten sehe, weiß ich, dass ich längst Abschied genommen habe.

Das hier ist nicht mehr mein Zuhause.