Ödön von Horváths ‚Geschichten aus dem Wiener Wald‘ ist ein Stück, das die Nazis sofort von den deutschen Bühnen vertrieben, als sie das Sagen hatten. Es zeigt jenes Deutschland von 1931, in dem es entstand, sehr genau. Müsste es dann nicht heillos veraltet und den Jugendlichen von heute eher ein vielleicht  literaturgeschichtlich wertvolles, aber vollkommen fremdes Gräuel sein? Genau das Gegenteil erfuhr die Leiterin der Theatergruppe am Jack-Steinberger-Gymnasium. Das von Horváth so hinterfotzig-gemütlich ‚Volksstück‘ genannte Drama wurde von ihr schon einmal, 2001, zum 100. Geburtstag seines Autors inszeniert, sie weiß also um seine Tücken. Aber  schon fast ebenso lange wünschen sich die Spieler der Theatergruppe der Oberstufe schon eine Neuauflage von ihrer Kursleiterin Gerhild Ahnert. In diesem Schuljahr hatten die Horváth-Begeisterten dann endlich genügend männliche Mitspieler für die  vielen Männerrollen beisammen und all die Probleme, die das Stück stellt, waren dann nur noch Chef-Sache: 15 Szenenwechsel, 10 verschiedene Schauplätze und kein Künstler, der für das Bühnenbild verantwortlich zeichnete. Mit einem Rieseneinsatz in den letzten vier Wochen stemmte die Truppe auch dieses Problem auf der Grundlage der Entwürfe ihrer Leiterin und schuf einen Rundhorizont über die gesamte Aulabreite, auf dem der Wiener Wald als Frühlingswald entstanden ist, in dem  auch sieben der 16 Szenen spielen können. Der Rest wird über Requisiten und Stellwände bewerkstelligt.  Und so ganz nebenbei mussten Rollen gelernt, Körpersprache, Mimik, Gestik geübt und die einzelnen Szenen mit genauer Szenenregie geübt werden. Die Spielleiterin meint: „Hut ab vor dieser Truppe! Wegen des Nachmittagsunterrichts konnte nur von Montag bis Donnerstag nach Unterrichtsschluss geprobt und musste gleichzeitig gemalt werden. Und das in der Stressphase für Schüler und Lehrer vor den Februarzeugnissen!“

Jetzt steht die Aufführung, bis zu den beiden Aufführungen, traditionell am Donnerstag und Freitag der ersten Märzwoche, dieses Jahr am 1. und 2. März jeweils um 19 Uhr , können sich alle Theaterinteressierten, Fans und Unterstützer der Truppe und vor allem alle Neugierigen davon überzeugen, dass eine faszinierend andere Aufführung als vor 11 Jahren entstanden ist. „Schüler gehen an die Themen des Stückes wie Perspektivlosigkeit einer jungen Frau, die nur für die Ehe erzogen wurde, sexuelle Doppelmoral der älteren Generation, Enttäuschung und völlige Perspektivlosigkeit  nach der vermeintlich großen Liebe, aber auch einer Zeit wirtschaftlicher Unsicherheit, Bankenkrisen, Arbeitslosigkeit, einem Tanz auf dem Vulkan, der zu Horváths Zeit in den kollektiven Wahnsinn des Naziregimes mündete, ganz anders heran als noch 2001.“ Das Stück zeigt noch die Spätbürger aus dem 19. Jahrhundert mit ihrem Bildungsideal, dessen Hohlheit Horváth anprangert, und schon den ersten Nazi, der ungeniert seine rassistischen Hassvorstellungen propagiert. Im Gewande einer Familien- und Liebesgeschichte zeigt der Autor ein Bild seiner Zeit, deren Fremdheit die Truppe ebenso reizte wie die Wiedererkennbarkeit so vieler Probleme aus den frühen 30ern des 20ten Jahrhunderts. Horváth starb bei einem Unfall im Exil noch vor dem Ende des 2. Weltkriegs. Wir schauen auf sein Zeitporträt mit dem Blick derer, die wissen, was folgte.
Die Truppe hofft, dass das Publikum ebenso fasziniert hineinschauen möchte in dieses Wien vor Hitlers Machtübernahme, in die Zeit der Nachtklubs und Vergnügungsetablissements, der um eine Existenz Kämpfenden und der Frauen, die Horváth ganz im Sinne der zeitgenössischen Ideologie scheitern lässt, sobald sie es, wie seine  Marianne, selbst in die Hand nehmen wollen, ihr Glück zu finden.
Der Eintritt zu dieser Veranstaltung in der Aula des Jack-Steinberger-Gymnasiums, die direkt danach für den Umbau geschlossen wird, ist frei, doch sind die drei Theatergruppen der Schule wie immer auf die Spenden des Publikums angewiesen.

 

Gerhild Ahnert

 

Theater-Probe-2012

BUZ: (von links) Das Ende in einer der Proben noch ohne Kostüme, aber schon vor der prächtigen Kulisse des Wienerwalds: Marianne (Laura Küntzler)  muss die Hand ihres ungeliebten Verehrers Oskar (Nico Bollwein)  ergreifen,  ihr verantwortungsloser Lover Alfred (Kai Kochanowski - rechts) zieht wieder mit seiner wesentlich älteren Gönnerin (Mona Münzel) ab, um ihr Geld auf den Rennplätzen durchzubringen – ein Bild der Wiener Gesellschaft kurz vor Hitlers Machtübernahme mit viel emotionalem und historischem Potenzial wird am 1. und 2. März in der Aula des JSG der Öffentlichkeit vorgestellt