Mit viel Engagement vertieften sich die einzelnen Gruppen in die Quellen, die aus dem Stadtarchiv stammen, und wühlten sich durch Aktenordner und Fotoalben, werteten ihre Materialien aus, tauschten im jeweiligen Team ihre Erkenntnisse aus, präsentierten diese dann mit viel Bildmaterial illustriert auf kreativ gestalteten Plakaten. Abschließend stellte dann jedes Team seine Ergebnisse im Planum vor.
Auf der einen Seite finden sich erstaunliche Parallelen zum Starkult um heutige Prominente, wenn beispielsweise 1893 fast 5000 "Bismarckfans" anreisen, um ihrem Idol zuzujubeln oder wenn clevere Kissinger Geschäftsleute diesen Kult wirtschaftlich nutzen und über Generationen zu Marketingzwecken einsetzen. Auf der anderen Seite gewinnen die Schüler aber auch einen sehr authentischen Eindruck vom Zeitgeist der wilhelminischen Ära und ihren militaristischen und chauvinistischen Strömungen. Die Vielfalt an Bildquellen und Textdokumenten aus dem Kissinger Stadtarchiv vermittelt einen anschaulichen Eindruck davon, wie im 19. Jahrhundert nationale Mythen entstanden, politisch instrumentalisiert wurden und zur Ausprägung eines aggressiven Nationalbewusstseins beitrugen. Besonders in den öffentlichen Reden anlässlich der Bismarckfeiern am Bismarck-Denkmal und Bismarckturm zeigt sich die zunehmende politische Instrumentalisierung des Bismarck-Mythos im völkisch-nationalistischen Sinne zum Ende des Kaiserreichs. Vor allem die Bismarck-Gedächtnisfeier im Kriegsjahr 1915 am damals noch nicht fertig gestellten Bismarckturm und die Rede des 2. Vorsitzenden des Kissinger Bismarckturm-Vereins belegen dies eindringlich. Der Redner inszeniert die Veranstaltung zu einer religiösen "Weihestunde", betont das mythische Weiterleben Bismarcks nach seinem Tode, verwendet Formulierungen wie "Weihespruch", "unerschütterlicher Glaube", "heiligste Güter", "Treuegelöbnis" und "Treueschwur". Dies verleiht der Veranstaltung den Charakter eines nationalen Gottesdienstes und erinnerte die Schüler frappierend an Elemente des im Nationalsozialismus inszenierten Führerkultes.
Für die Schüler war dieser Vormittag sicherlich ein Gewinn und eine willkommene Abwechslung zum sonstigen Geschichtsunterricht. Das liegt wohl auch am Workshopcharakter. Anders als im gewöhnlichen Geschichtsunterricht sind hier die Schüler die Hauptakteure, während sich der Lehrer dezent als Berater im Hintergrund hält. Auch das Arbeiten im Team macht Spaß und die Präsentation der Gesamtergebnisse der einzelnen Gruppen im Plenum ist immer eine Herausforderung. Dabei ist es teilweise sehr beeindruckend, wie kreativ und einfallsreich - nach einer vergleichsweisen kurzen Vorbereitungszeit - einzelne Facetten des Bismarck-Kults illustriert und präsentiert werden.