2015 Leben DDREinen etwas anderen Zugang zur Geschichte der DDR erhielten am Freitag, den 9. Oktober, die Schüler der 10 und 11. Jahrgangsstufe des Jack-Steinberger-Gymnasiums Bad Kissingen. Nicht um politische Ereignisse und Entwicklungen ging es, sondern um Alltagsleben und –erlebnisse eines DDR-Zeitzeugen. Gefördert wird dieses Vortragsprojekt von der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit.

Unter dem Titel „Grüße aus der DDR – Alltag in einem sozialistischen Land“ vermittelte der Bildautor Siegfried Wittenburg mit Hilfe von Fotografien, Berichten und Anekdoten einen vertieften Einblick in die Zeit vor der Wende 1989. Nach einer kurzen Personenvorstellung - Kindheit in den 50er Jahren in Warnemünde, nach der Schulzeit Ausbildung zum Funkmechaniker, berufliche Neuorientierung nach der Wende; Vorträge und Veröffentlichungen als Bildautor – berichtete der Referent von staatlicher Einflussnahme auf den Einzelnen, die schon in der Schulzeit einsetzte, etwa durch die Einteilung der Schüler zur Kategorie A bzw. I (Angehörige der „Arbeiterklasse“ bzw. der „Inteligenz“), mit der der schulische und berufliche Werdegang gesteuert werden sollte. Auch die Zielsetzung, die Menschen zu „sozialistischen Persönlichkeiten“ zu erziehen, äußerte sich im informellen Zwang, sich als Schulkind der FDJ (Freie Deutsche Jugend) bzw. den Jungen Pionieren anzuschließen.

Im weiteren Verlauf des Vortrags stellte Wittenburg ideologische Vorgaben und Utopien („Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen“, „Der Sozialismus siegt“, „klassenlose Gesellschaft“) der tristen und einengenden Wirklichkeit des „real existierenden Sozialismus“ gegenüber, wenn er von Reisebeschränkungen, trostlosen Plattenbauten, unzureichender Infrastruktur und Bespitzelung berichtete, sowie von dem Risiko, auf Grund von Zufällen und mangelnder Ortskenntnisse beim Wandern als „Republikflüchtling“ beargwöhnt und verhaftet zu werden.

Auch den Arbeitsplatz beschrieb Wittenburg als Zentrum staatlicher Einflussnahme; kontrastiv wurden Parolen zum 1. Mai, dem Tag der Arbeit (Arbeit als „Quelle der Freude“ und als „Kampfplatz für den Frieden“) den realen Problemen der Arbeits- und Konsumwelt entgegengesetzt: verlangsamte Arbeitsproduktivität im Vergleich zum Westen, restriktive Maßnahmen der DDR-Planwirtschaft, etwa bei der zögerlichen Zulassung von Kleingewerbebetrieben, leere Schaufenster und Verkaufsregale, tägliches Schlangestehen etc.

Wittenburg betonte aber auch, dass man angesichts des Mangels und der Restriktionen sich so gut es ging im Alltag einrichtete, notfalls improvisierte und im Übrigen ein privates Leben zu führen suchte, das sich möglichst dem Staat entzog (Heirat, Kinder, Datsche im Grünen).

An Stelle der kommunistischen Utopie kam es, wie der Referent aufzeigte, zum Verfall der Städte, zur allgemeinen Unzufriedenheit und zu unterschiedlichen Formen des Protestes, die vom Hören von Musik aus dem Westen über das Tragen von Aufnähern („Schwerter zu Pflugscharen“) hin zu den Massenprotesten des Jahres 1989 reichte.

Mit einem Foto, das Joachim Gauck – damals einer der Repräsentanten des Neuen Forums - während einer Fürbittenandacht in der Marienkirche Rostock zeigt, beendete Herr Wittenburg seinen beeindruckenden und facettenreichen Zeitzeugenvortrag.